Bild-Betrachtung „Menschsein“

Dauer: 2:10

Der Barmherzige Samariter

Lk 10,29-37

Dauer: 3:30

Menschsein

 

Im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild“ (Gen 1, 27). Wenn das mehr sein will als eine schöne Metapher, was ist eigentlich damit gesagt? Immerhin dies, dass Gott sich im Menschen abbildet. Gott wollte also im Menschen sichtbar werden, in ihm präsent sein. Was kann das bedeuten? Eine andere Stelle aus dem Schöpfungsbericht kann uns da weiterhelfen: „Gott bildete den Menschen aus Lehm und atmete in seine Nase seinen Geist ein“ (Gen 2, 7). D. h. Gott gibt dem Menschen Anteil an seinem eigenen Leben, seinem Geist. Das sind große Aussagen. Aber kann man sie auch in nichttheologischer Sprache plausibel machen? Ich denke ja. Denn wenn wir den Menschen betrachten, dann sollte uns folgendes zu denken geben:

 

Der Mensch ist nicht einfach in der Welt vorhanden, wie die Dinge und Tiere. Er weiß um seine Existenz und auch um ihre Begrenztheit. Das aber lässt ihn geistig einen Standpunkt außerhalb dieser Grenzen einnehmen. Sonst könnte er dieses Wissen nicht haben. Dies gilt aber dann von jeder Grenze, in die der Mensch sich eingeschlossen denken könnte. Damit ist er ein Wesen, das auf einen unendlichen Horizont ausgerichtet ist. Was kann diesen Horizont letztlich ausfüllen? Nur dasjenige, das die Unendlichkeit selbst ist, das ganz aus sich und bei sich ist, weil es auch innerhalb seiner nicht begrenzt ist wie die Welt um uns herum. Ganz jenseitig ist dieses Unendliche und ist doch nicht einfach getrennt von unserer Welt. Als wahrhaft Unendliches umfasst es uns, ist sogar in uns als unser geistiger Horizont. Wir verdanken uns ihm und haben auch einen Namen für ihn, den einzigen, der durch keinen anderen zu ersetzen ist: Gott.

 

Worauf auch immer der Mensch sich ausrichtet, das prägt ihn und bildet sich in ihm ab. Wenn der Mensch sich nun auf den

unendlichen Gott auszurichten vermag, dann bildet der sich in ihm ab. Genauer gesagt: Gott eröffnet dem Menschen die geistige Ausrichtung auf ihn. Er gibt ihm Anteil an seiner eigenen Unendlichkeit, und macht ihn so zu seinem Bild, macht sich in ihm sichtbar und erfahrbar. Dies begründet die Würde des Menschen und ist zugleich seine große Aufgabe. Diesem Bild, das er selbst ist, gerecht zu werden, darum muss es dem Menschen gehen. Oder man kann es so sagen: Es muss ihm darum gehen, ganz er selbst zu werden.

 

Ganz er selbst zu sein, frei zu sein, das ist das große emanzipatorische Thema, das uns allen vertraut ist. Das eben umrissene Menschenbild ist dafür die Grundlage. Denn die Ausrichtung auf den unendlichen Gott macht uns zu freien Wesen. Er allein und nichts sonst ist diese uns so prinzipiell entschränkende Macht. Nur von ihm her wird verständlich, dass wir auf nichts absolut festgelegt sind, uns somit stets eine geistige Distanz zu allem möglich ist, die uns ein freies Urteil ermöglicht. Der Willkür sind wir dadurch nicht überlassen. Denn Willkür bedeutet sich bewusst oder unbewusst irgendwelchen inneren oder äußeren Einflüssen zu überlassen. Die uns von Gott geschenkte Freiheit stellt uns vielmehr in eine letzte Verantwortung, nämlich genau in die, unsere Freiheit ernst zu nehmen, und zwar unsere Freiheit. Wir können sie nämlich nur gemeinsam realisieren. Der absolute Egoismus ist ein Widerspruch in sich. Sich selbst bejahen heißt immer: andere mitbejahen, und die Selbstachtung impliziert, dass wir von andern fordern dürfen, ihr beizustimmen. Doch können wir diese Forderung ehrlicherweise (d. h. ohne inneren Widerspruch) nur dann erheben, wenn wir die von anderen verlangte Achtung auch ihnen entgegenbringen. Wie sollte man auch Achtung verlangen vor jemandem, den man selbst nicht achtet, d. h. dessen Freiheit man nicht voraussetzt und anerkennt?

 

Josef Schmidt SJ